Ein Bot als Ersatz für verstorbene Menschen?

Ein Streifzug durch die (zukünftigen) Möglichkeiten digitaler Unsterblichkeit

Weihnachten ist für viele trauernde Menschen besonders schmerzhaft. Sie erleben den Verlust einer geliebten Bezugsperson noch intensiver als sonst. Doch vielleicht werden in Zukunft die Digitalkonzerne dieses Leid lindern können? Im Fachbuch "Die digitale Seele" stellen Moritz Riesewieck und Hans Block die Frage, ob Bots den Angehörigen ihrer verstorbenen Lieben ersetzen können. Diese Bots geben mit Hilfe von Künstlichen Intelligenz - und weil die Tote immer mehr Daten hinterlassen - die persönlichen Züge der Verstorbenen zunehmend besser wieder. Sie lernen, die Sprache, den Humor, die Stimmungslagen und die persönlichen Erinnerungen eines verstorbenen Menschen täuschend echt zu simulieren.

Der kalifornische Sportredakteur John setzt darauf große Hoffnung. Er begleitet seinen unheilbar an Krebs erkrankten Vater liebevoll beim Sterben. Dabei wird John immer deutlicher, dass er möglichst viel von dem, was seinen Vater ausmacht, über dessen Tod hinaus bewahren will. Für sich selbst, für die verwitwete Ehefrau und die ihren Opa liebenden Enkel wünscht er sich deshalb einen "Dadbot". So nennt John den Chatbot, der posthum seinen Vater repräsentieren soll. Um diesen "Dadbod" mit aussagenkräftigen Daten zu füttern, nutzt der Sohn jede freie Minute, um Interviews mit seinem sterbenden Vater zu führen und den Bot mit dessen Antworten zu füttern.

Die russische Programmiererin Eugenia Kuyda hat ein Programm geschrieben, mit dem sie die WhatsApp-Kommunikation mit ihrem verstorbenen Freund fortführen konnte. So konnte sie mit "Go-Roman" weiter chatten und hatte dabei das Gefühl, immer noch mit dem echten Roman im Austausch zu sein. Textbotschaften von Toten, die zu Lebzeiten viel geschattet haben, lassen sich nämlich schon heute im erstaunlicher Authenzität klonen. "When your heart stops beating, you´ll keep tweeting" wirbt ein Startup-Unternehmen, das digitale Klone erstellt: "Du twitterst einfach weiter, auch wenn dein Herz zu schlagen aufhört!"

Was einen Menschen von einem Bot unterscheidet

Technisch sind wir also bereits so weit, dass wir mit Toten annährend so chatten können, als würden sie noch leben. Bald wird es möglich sein, Klone, Bots und Avatare von uns zu erstellen, die den "Turing-Test" bestehen. Dieser nach dem Computerpionier Alan Turing benannte Test gilt als bestanden, wenn der User nicht mehr sicher sagen kann, ob er mit einem Menschen oder einer Maschine kommuniziert. Doch werden dann diese täuschend echt auftretenden Bots von Verstorbenen wirklich eine Hilfe für die Trauenden sein? Oder stehen sie einem gesunden Trauerprozess vielleicht sogar im Weg?

Ein Bot kann zwar die Verhaltensweisen, Überzeugungen und Worte eines Menschen kopieren. Aber er wird damit noch lange nicht zum menschlichen Gegenüber. Ein Bot hat nämlich keine eigenen Gefühle, keine Empfindungen, kein Herz, sondern einfach nur Algorithmen, die Daten auswerten. Ein Bot liebt mich nicht. Ein Bot ärgert sich nicht über mich. Ein Bot fühlt nicht mit mir mit. Immerhin kann er Funktionen erfüllen, durch die mir ein verstobener Mensch gutgetan hat. Ein "Mambot" könnte mir zum Beispiel die Schlaflieder meiner Kindheit vorsingen. Aber würden mich oder meine Kinder diese Lieder in der gleichen Weise erreichen? Durch den Gesang meiner "echten" Mutter wurde eine Haltung, eine Zuwendung ausgedrückt, die kein noch so herzensergreifender Algorithmus simulieren kann.

Menschen sind füreinander sehr viel mehr als die Funktionen, die sie füreinander und aneinander wahrgenommen haben. Gerade Trauernde wissen das. Wobei... - vielleicht nicht in jedem Fall? Vielleicht klammern sich einige Menschen angesichts des Todes ja an alles, was ihnen Hoffnung verheißt? Die Autoren Rieswieck und Block halten den spirituell wurzellos gewordenen Westeuropäer durchaus für anfällig für die Unsterblichkeitsangebote der Digitalindustrie: "Religiöse Konzepte haben für einen Großteil der Menschen ihre Bindungskraft verloren. Zugleich fehlt ein alternatives Angebot, um mit dem Tod umgehen zu können. (...) Und das führt uns zu unserer These: Hier entsteht ein gewaltiger Markt!"

Profit und Narzissmus statt Hilfe für Trauernde

Das ökonomische Potential liegt auf der Hand. Ein "Dadbot" und ein "Mambot" der innig geliebten, aber verstorbenen Eltern würden in vielen Fällen den Digitalkonzernen einen unglaublich intensiven Zugang zu User*innen eröffnen. Denn wem würden Menschen so viele intime Daten anvertrauen, wie dem Bot eines verstobenen Elternteils? Aus wessen Mund wären Werbebotschaften und Wahlempfehlungen eindringlicher, als aus dem eines Verstorbenenbots, der einen Familienangehörigen repräsentiert, dem man zu Lebzeiten sehr vertraut hat? In unserem Alltag würden sich Verstorbenenbots einschleichen, deren Algorithmen aber nicht nur von unseren lieben Verstorbenen inspiriert wurden - sondern auch entsprechend der Profitinteressen der Digitalkonzerne konfiguriert werden. Was für ein Einfallstor für Manipulationsversuche...!

Denkbar wäre auch ein kostenpflichtiges Upgrade, das posthum meinen Bot attraktiver macht, als ich zu Lebzeiten war. Gerade weil der Bot uns ja ganz auf die Funktionen, die wir füreinander haben, reduziert, wäre er für "Optimierungen" offen: Warum sollte mein "Dadbot" nicht den Ton beim Weihnachtsliedersingen besser treffen als mein echter, aber unmusikalischer Vater es zu Lebzeiten tat? Warum sollte die eine Oma nicht ein "Premium-Angebot" für ihren Bot buchen, der sie posthum für die Enkel attraktiver macht, als die andere Oma, die zu Lebzeiten immer einen besonders herzlichen Umgang mit den Enkeln hatte?

Spätestens an dieser Stelle wird offenbar, wie riskant solche Angebote sind. Riesewieck und Block beschreiben, wie der Vater von John zunehmend allergisch auf den in seiner Sterbephase erstellten "Dadbot" reagiert. Er erlebt, wie dieser Aufmerksamkeit bekommt, weil er so schön die guten, alten Zeiten in Erinnerung ruft. Diese Aufmerksamkeit fehlt dann aber dem echten Vater auf dem Sterbebett. Gerade weil er in der finalen Phase des Sterbeprozesses viele seiner alten Fähigkeiten und Strärken verliert, empfindet er den Bot zunehmend als Konkurrenz: "War das nicht seine Erzählweise, die seine Frau und seine Kinder immer so begeistert hatte und die jetzt von diesem Klon viel lebhafter übernommen wurde, als er es noch konnte? War es nicht sein Witz, der seine Frau und seine Kinder so oft zum Lachen gebracht hatte, während sie jetzt in diesen Laptop hineinlachten?"

Werden irgendwann die Kinder und Enkel Besuche im Pflegezentrum einstellen, weil demenzerkrante Hochbetagte von ihren eigenen Bots in den Schatten gestellt werden? Warum sich mit einem verwirrten Greis unterhalten, wo doch auch eine Online-Version dieses Menschen verfügbar ist, aus einer Zeit, in dem es ihm noch gut ging und er unterhaltsam und hilfreich gewesen ist?

Hier stoßen Datenreligion und echte Religion aufeinander. Und hier bekommt die "echte" Religion eine neue Relevanz: Der Mensch als Geschöpf Gottes ist nämlich unendlich mehr und etwas ganz anderes als die Summe, der von ihm hinterlassenen Daten. Wir sind dafür geschaffen, einander zum Gegenüber zu werden - was unendlich mehr und ganz anders ist, als Funktionen füreinander zu erfüllen.

 

 

 



Rainer Liepold

Dr. Rainer Liepold war über 20 Jahre euphorisch als Gemeindepfarrer unterwegs. Das Themenfeld "Sterbe-, Bestattungs- und Erinnerungskultur" wurde dabei zu seinem Arbeitsschwerpunkt. Seit Januar 2020 arbeitet er mit "Vernetzte Kirche" an "gedenkenswert.de", einer entsprechenden digitalen Plattform. Er kennt sich auf Online-Friedhöfen und in Seelsorge-Foren gut aus. Die kirchliche Praxis mit guten digtialen Angeboten zu verzahnen, ist ihm ein Herzensanliegen.