Vor zwei Jahren habe ich hier einen Beitrag zum Thema Trolle und Shitstorms geschrieben und diesen mit einem Giftpilz illustriert. Dieses Gift breitet sich immer mehr aus. An vielen Stellen schlägt einem im Netz beängstigender Hass entgegegen. Anonym und mit Klarnamen wird gehetzt und Stimmung gemacht, Menschen werden diskriminiert, Lügen und Angst verbreitet und zu Mord und Totschlag aufgerufen. Wir sprechen von "Hate Speech". Sind Netzwerke noch "sozial"?
Austausch und Vernetzung
Mir persönlich gefällt an den Sozialen Netzwerken - im positiven Sinne - der Vernetzungsgedanke und die „niederschwellige“ Möglichkeit des Sich-Austauschen-Könnens. Ich habe in den letzten Jahren via Social Media eine ganze Menge Menschen kennengelernt - und manche auch „im echten Leben“ getroffen. Menschen, mit denen ich mich sonst niemals hätte austauschen können, die jetzt mein kleine Filterblase bereichern. Ich bin davon überzeugt, dass mir ohne Social Media eine Menge an Kontakten aber auch an Informationen und Perspektiven entgangen wären. In geschlossenen Facebook-Gruppen wie „Was mir im Predigerseminar keiner sagte …“ und „Kirche und Social Media“ kann man sich Antworten auf Fragen und Anregungen einholen oder Erfahrungen austauschen. Unter dem Hashtag #twomplet kann man auf Twitter mit fremden Menschen jeden Abend um 21.00 Uhr gemeinsam beten. Wenn der Social-Media-Pfarrer Christoph Breit auf Facebook von seinen Knieschmerzen postet, tröstet ihn seine Timeline mit Tipps und virtuellem Mitgefühl inklusive Blumen und Eistüten. Das ist die eine Seite.
Hass und Hetze
Auf der anderen Seite bieten die Netzwerke natürlich auch im negativen Sinne die Möglichkeit zu Vernetzung und Austausch. Gerüchte werden verbreitet und Hass. Wie der böse Geist aus der entkorkten Flasche verteilt sich das Gift in Windeseile. In der gefühlten Anonymität hinter Bildschirm und Tastatur hetzt es sich leichter als von Angesicht zu Angesicht. Man findet Gleichgesindte, auch im Negativen. "Freundschaften" entstehen. Man bekommt Zustimmungen für seine Äußerungen. Wird mutiger. Wird unterstützt. Verabredet sich im echten Leben.
Das Netzwerken funktioniert nicht nur bei Knieschmerzen, sondern leider auch bei Vorurteilen, Lügen, Rassismus und Hass. Fatal ist hier, dass ein Netzwerk wie Facebook einem per Algorithmus die Beiträge, Kommentare und Aktivitäten von "Freunden", mit denen man häufiger interagiert, auch häufiger in der Timeline anzeigt. Das ist im negativen Sinn natürlich ebenfalls der Fall. Die Hetze von vernetzten Hetzern taucht in der Timeline eines Hetzers entsprechend häufiger auf, als gemäßigte Beiträge von leiseren Freunden und sorgt so für entsprechenden viralen "Schwung". "Die Unfähigkeit von Facebook als einem der Hauptanbieter auf diese Hetze angemessen zu reagieren, ist erstaunlich. Bei blanken Brüsten ist man bei Facebook da sehr schnell und löscht. Nazi-Hetze kann auch nach mehreren Hinweisen oft tagelang sichtbar bleiben", wundert sich dabei Christoph Breit. *)
Was tun?
Die Frage stellt sich, wie man konkret damit umgehen kann, wenn z.B. auf der eigenen Facebook-Seite oder in einer Gruppe Hasskommentare auftauchen? Wenn Diskussionen durch unsachliche Beiträge abgewürgt werden und emotional soweit außer Kontrolle geraten, dass man mit sachlichen Argumenten und der Schilderung von Fakten nicht mehr weiterkommt? Wenn ein Shitstorm zur menschenverachtenden Hasskampagne wird?
Analysieren und reagieren
Zunächst ist wichtig, dass den Herausgebern des von Ihnen administrierten Accounts klar ist, dass so etwas grundsätzlich immer passieren kann und (leider) normal und nicht durch eigene Beiträge entstanden ist. Admins brauchen hier Rückendeckung, bei dem was sie tun, wenn nötig auch durch Vorgesetzte. Wenn bei einem von Ihnen administrierten Social-Media-Account Hatespeech auftaucht, sollten Sie die Situation schnellstens analysieren, Ihre Ansprechpartner informieren und sich gemeinsam umgehend eine der Situation angemessene Stategie überlegen. Und dann schnellstmöglich handeln.
Abwarten und ignorieren
Wenn es um einzelne Kommentare geht, die sich noch an der Grenze des Erträglichen bewegen, kann man versuchen, diese zu ignorieren und hoffen, dass keiner mit auf den Zug aufspringt. Ein schneller eigener Kommentar kann hier kontraproduktiv wirken. Vorsicht ist geboten, wenn erste Kommentare weitere Usernamen enthalten oder Postings ungewöhnlich stark geteilt werden. Das deutet darauf hin, das sich hier User organisieren, die Hass verbreiten wollen. Meistens aber geschieht wenig. Zwar besteht auch, wenn eine Debatte hochkocht, die Chance, dass diese irgendwann versandet. Der Nachteil ist allerdings, dass Ihre Timeline von den Kommentaren der lautesten Schreihälse dominiert und der leisere Teil Ihrer "friedlichen" Community abgeschreckt wird. Klar ist, dass Hass ansteckend wirkt, wenn man ihn duldet. Deshalb sollte man ihn nicht dulden. Klar ist auch, dass Hasskommentare sich nicht unbedingt an die Betreiber von Facebookseiten richten, sondern vor allem an die, die mitlesen. "Ist das Feld dann erst geräumt, siegt der Hass und feiert sich selbst", meint Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antoni Stiftung.
Argumentieren und Hilfe holen
Zu diskutieren und mit Tatsachen zu argumentieren ist mit Hatern oft schwierig bis unmöglich, erfordert in jedem Fall einen langen Atem, viel Geduld, emotionale Beherrschung und Sachkenntnis in Bezug auf das jeweilige Debattenthema. Und ein flexibeles Zeitmanagement. Gerne posten Hater auch mal bis tief in die Nacht. In jedem Fall sollte man unbedingt versuchen, seine Community zu aktivieren, sich den Hasskommentaren entgegenzustellen, sachlich mitzudiskutieren, die eigene Postion zu stärken, andere Sichtweisen und weitergehende Informationen hinzuzuziehen. Auf Falschaussagen hinzuweisen und widersprechende Statements im Thread immer wieder zu wiederholen. Zu deeskalieren. Mithilfe der Community ist es auch dem Online-Manager der Diakonie Stephan Röger gelungen, mit einem rechtsradikalen Shitstorm fertig zu werden, der eine Solidaritäts-Aktion für Flüchtlinge zum Anlass genommen hatte: "Wir wollten deutlich machen, dass wir den Hasskommentatoren nicht die Deutungshoheit überlassen." Auf die Macht der Community setzte auch die Caritas, als das Video "Flüchtlinge in Deutschland – Was wird aus Ihnen?" für Hasskommentare sorgte: "Etliche Power-User haben dagegen argumentiert, Fakten geliefert und von ihren Erfahrungen berichtet. Die Community lebt also doch", schildert Dorothée Quarz die Erfahrungen im Blog der Caritas. Hier hat diese Strategie sogar dazu geführt, dass die Followerzahlen und die Interaktionsrate deutlich gewachsen sind und andere Debatten angestoßen werden konnten: "Inzwischen diskutieren wir auf hohem Niveau über Sterbehilfe oder Kinder mit Down-Syndrom in der Werbung."
In Kommentaren gepostete Links sollten in jedem Fall überprüft werden. Oft findet sich etwa in verlinkten YouTube-Videos weitere Hetze. Was nicht überprüft werden kann, sollte in Facebook mindestens "verborgen" werden.
An dieser Stelle möchte ich erneut Jochen Wegners Zeit-Online-Artikel Lasst die Trolle verhungern zitieren: "Wir müssen uns täglich selbst einmischen. Millionen von Menschen, die zivilisiert debattieren, die falschen Informationen richtige entgegensetzen, die Störer gelassen übergehen und bei seltsamen Spam-Wellen aufmerksam werden, sind unbesiegbar. Einem aufgeklärten digitalen Bürgertum ist keine Troll-Armee gewachsen." In Einzelfällen gelingt es in einer sachlichen Diskussion vielleicht sogar, ein verirrtes Schaf einzusammeln.
Sinnlos ist diskutieren, wenn Kommentare von einem Bot, einem automatisierten Fake-Account erstellt wurden. Auch das soll gehäuft vorkommen.
Kommentare sichern, anzeigen und löschen
Destruktive Kommentare oder solche, die nicht konform mit Ihrer Netiquette sind, können Sie auch löschen und/oder den verschiedenen Plattformen melden: Bei Facebook klicken Sie rechts oben vom Kommentar auf "Verbergen" und erhalten dann die Option, den Kommentar zu melden und den Kommentator zu blockieren. Gleiches gilt für einzelne Posts. "Man löscht. Man räumt in seinem Freundeskreis auf und schmeisst alle diejenigen raus, die sich nicht benehmen können und wollen. Man meldet Hass-Postings. Und man löscht derartige Kommentare. Wie im vermeintlich richtigen Leben eben auch", empfiehlt Nico Lumma, Mitbegründer von D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt. Falls Sie Kommentatoren nicht grundsätzlich "entfreunden" möchten, um diese im Blick zu behalten oder damit diese Ihre Informationen bekommen, können Sie deren Beiträge auch (vorübergehend) verbergen oder stumm schalten ("muten").
Bei eindeutig rechtswidrigen Äußerungen sollten Sie diese auf Ihrer Seite löschen. Von Hasskommentaren geschmähte Opfer könnten gegebenenfalls Strafanzeige gegen Sie als Herausgeber der Seite stellen. Vor dem Löschen sollten Sie davon in jedem Fall einen Screenshot erstellen und dies bei einer Polizeistelle Ihres Bundeslandes melden. Das ist teilweise auch online möglich.
Damit der Diskussionsverlauf in Ihrer Timeline noch nachvollziehbar bleibt, sollten Sie gegebenenfalls erwähnen, dass Sie Kommentare aus den und den Gründen gelöscht haben.
Ironie und eigene Netiquette
In Einzelfällen kann Humor zwar deeskalierend wirken, in der Regel sollte man sich den Umgang mit Ironie jedoch sehr gut überlegen und etwas geübt in Krisenkommunikation sein. Ironie wirkt provozierend und ein Scherz kann schnell nach hinten losgehen, auch wenn er berechtigt ist. Mit Humor lässt sich die Absurdität einer Diskussion natürlich gut vorführen. In jedem Fall muss man sich aber klar darüber sein, dass Ironie ausgrenzt und Fronten verhärtet.
"Gute Erfahrungen haben wir mit ausdauernder Freundlichkeit gemacht", rät Social-Media-Pfarrer Christoph Breit. "Wer User konsequent mit 'Sehr geehrter ...' anspricht und auch bei Beleidigungen höflich zurückweisen kann, erhält sich wenigestens ein Stück Menschlichkeit. Manchmal lassen sich durch den freundlichen Ton auch weitere User gewinnen, in die Diskussion einzusteigen."
Für die Umsetzung einer Aktion wie "HASS HILFT – die erste unfreiwillige Online-Spenden-Aktion" von www.zentrum-demokratische-kultur.de, die Rechtsradikale mit großer Ironie zu unfreiwilligen Spendern macht, bedarf es echter Profis. Die Idee dahinter: Die Aktion macht jeden menschenverachtenden Kommentar bei Facebook & Co. zu einer 1 EURO SPENDE für Flüchtlingsprojekte der „Aktion Deutschland Hilft“ und „EXIT-Deutschland“, einer Initiative gegen Rechts.
Die Initiative erläutert auf www.hasshilft.de übrigens genauer, was als Hate Speech gilt: "Unter 'Hass-Kommentar' verstehen wir Äußerungen in sozialen Netzwerken, in denen Menschen erniedrigt, verunglimpft oder in ihrer Menschenwürde herabgesetzt werden bzw. Äußerungen, in denen zu Gewalt aufgerufen oder Menschen Gewalt angedroht wird. Und zwar aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe, ihrer politischen Einstellung, ihrer sozialen Zugehörigkeit oder auch aufgrund rein äußerlicher Merkmale. Dabei richtet sich die Äußerung verallgemeinernd (rassistisch, antisemitisch, fremdenfeindlich, homophob, abwertend gegenüber Behinderten oder Obdachlosen oder sexistisch) gegen die gewählte Gruppe als Ganzes. Hass-Kommentare gilt es im Einzelfall auch auf strafrechtliche Relevanz zu überprüfen."
Gegen das verbale Wettrüsten
Im Blog der Karlshochschule International University wünscht sich Patrick Breitenbach: "Dreht die Stillen und Vernünftigen lauter. Kommuniziert bewusster. Kommuniziert achtsamer. Kommuniziert gewaltärmer. Hört zu und versteht ohne dabei dem anderen automatisch zuzustimmen. Trennt Aussagen von Personen. Grenzt Ideen und nicht Menschen aus. Fördert Medienkompetenz und Bildung. Bleibt im Gespräch. Verlasst das Gespräch, wenn es zu nichts führt außer persönlicher Beleidigung. Überzeugt nicht die längst Überzeugten, sondern die neugierigen Unentschlossenen. Erinnert euch stets daran, dass auf der anderen Seite des Rechners ein Mensch sitzt. Achtet auf eure Emotionen. Lest den ganzen Artikel und nicht nur die Headline. Atmet tief durch und zählt bis 10. Schreibt nicht, wenn ihr besonders wütend seid und schmiedet das Eisen, solange es kalt ist. Schaut euch immer verschiedene Perspektiven an. Schaut euch die Lage vor Ort an oder sprecht mit Menschen, die vor Ort sind. Meldet Gewaltaufrufe und ausgeführte Gewalt an das Gewaltmonopol. Stellt euch schützend vor Unterdrückte und Verfolgte. Zeigt Wertschätzung. Seid mutig. Ermutigt. Moderiert und deeskaliert. Oder wie es der prominenteste Vertreter des passiven Widerstandes, Mahatma Gandhi, mal so treffend formuliert hat: 'Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.'"
*) UPDATE: 12.01.2018: Im Herbst 2017 ist das neue Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG, Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken) in Kraft getreten.
In seinem Blog schildert der Journalist Richard Gutjahr seine ernüchternden Erfahrungen mit Hatespeech, Rufmord und dem NetzDG.
Linktipps:
BMJV: Gemeinsam gegen Hassbotschaften
Appell der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) gegen Diskriminierung und Hetze im Internet
Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet
Klicksafe: Wie begegnet man Hass im Netz?
www.netz-gegen-nazis.de: Couragierte Gegenrede
Hasspostings auf Facebook melden
hass-im-netz.info
Mit Humor gegen Rassismus1: Student landet Twitter-Hit
Mit Humor gegen Rassismus2: Hasstool von Renate Künast
www.caritas-digital.de
Das Netz und die Dummheit: Sascha Lobo ruft Hilfe
Böse Filterblasen?
Rassistische Posts und Hasskommentare: Interview mit Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen
Aktiv gegen Hass
Vielen Dank an Christoph Breit, dem ich viele Anregungen zu diesem Blogbeitrag verdanke! #nohatespeech
Ergänzung 20.04.2017
Das Internet-ABC hat für Eltern und Pädagogen wertvolle Hinweise zusammengestellt, ob und wie man Kinder auf das Thema #hatespeech und #fakenews vorbereiten kann.
Ergänzung 06.06.2017
Hass-Rede in den sozialen Medien eindämmen - das will Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) mit dem geplanten "Netzdurchsetzungsgesetz" (NetzDG) erreichen, das sich bereits in parlamentarischer Beratung befindet. Dr. Lena Modrow hat im Blog der Nordkirche die negativen und positiven Aspekten des geplanten Gesetzes zusammengetragen.